Seit Jahren erwähne ich bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten, dass ich super gerne mal Urlaub in Albanien machen möchte. Doch vermutlich hätte ich es auch die kommenden zehn Jahre nicht geschafft, die Idee in die Tat umzusetzen. Und so hat meine Frau das Heft in die Hand genommen und mir einen Kurztrip Shqipëria ("Albanien" auf albanisch) zum Geburtstag geschenkt.
Bis ich in Tirana gelandet war, kannte ich nichts vom Land. Auch meine Berührungen mit dem albanischen Fußball beschränken sich auf ein Minimum. Ich kenne Hopper-Berichte vom Tiraner Derby, hätte aber nicht einmal die beiden Vereine korrekt nennen können. Und deswegen wollte ich unbedingt hin, um den schwarzen Fleck auf meiner persönlichen Landkarte einzufärben.
Da unser persönlicher Terminkalender schon gut gefüllt war und wir zudem den südeuropäischen Spätsommer mitnehmen wollten, fiel die Wahl auf dieses Wochenende. Da ich wie gesagt die albanischen Ligen und Mannschaften nicht kenne, war es nur wichtig, dass überhaupt gespielt wird. Der konkrete Plan wird sich dann ergeben. Denn es war ja auch nicht so, dass zum Zeitpunkt der Flugbuchung die Terminierung schon feststand. Ich glaube, erst zehn Tage vorher wurde bekanntgegeben, wann die Spiele stattfinden. Interessanterweise wurden alle Spiele der ersten und zweiten Liga auf Freitag und Samstag gelegt. Sonntag gab es kein Spiel. Und somit war klar: ein Spiel am Freitag, eins am Samstag, und der Sonntag ist ausschließlich für Sightseeing reserviert.Der Spielplan, kombiniert mit der touristischen Attraktivität möglicher Zielen, bescherte mir schließlich das heutige Spiel hier in Shkodër sowie das morgige in Durrës. Ich nehme es vorweg: die Stadt, die Leute, das Stadion – einfach großartig.
Shkodër ist die nördlichste der größeren albanischen Städte. Sie hat 66.000 Einwohner und ist damit in der Wikipedia-Statistik die siebtgrößte Stadt Albaniens. Die Stadt ist umgeben von drei Flüssen und liegt am Skutarisee, dem größten See Südeuropas. Wahrzeichen der Stadt ist die Burgruine Rozafa. Touristen, die in die Stadt kommen, kommen zum einen wegen der Burg und zum anderen wegen der naheliegenden Alpen. Die Stadt ist ein guter Ausgangspunkt für Bergwanderungen.Die Burgruine haben wir besichtigt, die Alpenwanderung aber ausgelassen. Denn es stand eine größere Sehenswürdigkeit auf dem Programm, das Stadiumi Loro Boriçi. Mit einer Kapazität von 15.900 Plätzen ist es nach dem Nationalstadion das zweitgrößte Stadion Albaniens. Und vermutlich das Schönste. Das architektonische Highlight sind für mich die fünf Einzel-Tribünen in der Südkurve. Die Kurve startet mit einer freistehenden 30-Reihen breite Tribüne, dann kommt eine Lücke, dann wieder eine 30-Reihen breite Tribüne, dann wieder eine Lücke und so weiter. Das habe ich so noch nirgends gesehen. Im Norden hingegen sieht die Kurventribüne „normal“ aus. Dort gibt es eine halbrunde Tribüne ohne Unterbrechung. Was der Grund für die fünf einzelnen Südtribünen-Teile war, würde mich wirklich interessieren. Es sieht auf jeden Fall super aus. Genutzt wird die Südkurve aktuell als Gästeblock.
Das Stadiumi Loro Boriçi war heute sehr gut gefüllt. Auf kicker.de standen 7.000 Zuschauer. Ich habe das mal übernommen, bin mir aber sicher, dass die Zahl viel zu hoch ist. Ich tippe so auf 3.000 Zuschauer. Zum Anpfiff war maximal die Hälfte im Stadion. Bis 20 Minuten nach Spielbeginn strömten weitere Zuschauer ins Stadion. Vielleicht lag es ja an der frühen Anstoßzeit am Freitag um 17 Uhr, wo alle noch schauen mussten, rechtzeitig von der Arbeit zu kommen.In Serbien ist das so ein Ding, dass die Fangruppen meist später den Block betreten. Warum auch immer. Gleiches Bild heute hier in Shkodër (und um es vorwegzunehmen, auch morgen in Durrës). Sowohl der Heim- als auch der Gästeblock waren zu Spielbeginn überschaubar. Ich hatte es dann aus den Augen verloren und irgendwann um die 30. Minute war der Gästeblock beflaggt und 100 Mann haben ordentlich Stimmung gemacht. Ich hatte nicht viel erwartet und dann war das hier ein richtig gut besuchtes Spiel mit Stimmung aus beiden Blöcken.
In der höchsten albanischen Liga, der Kategoria Superiore, spielen zehn Mannschaften. Jeder spielt viermal gegen jeden, zweimal zu Hause, zweimal auswärts. Somit kommen alle Mannschaften auf 36 Spiele. Die letzten zwei steigen ab, der Vorletzte muss in die Relegation. Die vier besten Mannschaften spielen in Halbfinale und Finale den Meister aus. Interessante Regel für das Halbfinale: Es gibt nur ein Spiel, das höher platzierte Team hat Heimrecht und bei Unentschieden entscheidet die bessere Platzierung aus der regulären Saison, sprich das Heimteam kommt ins Finale. Einerseits finde ich es interessant, was sich Verbände alles an Modi ausdenken, um die Meisterschaft möglichst spannend zu machen. Hier konkret finde ich es aber auch irritierend, wenn der klare Tabellenführer nach 36 Spielen alles mit einem einzigen Spiel in den Sand setzen könnte. Den Modus gibt es seit der Saison 2023/24, mal sehen wie lange er bestehen bleibt.Tickets für das Spiel gibt es für 200 Lek (Kurve), 400 Lek (Gegengerade), 1000 Lek (Haupttribüne) und 1500 Lek (Haupttribüne mittig). Das entspricht ziemlich genau 2 €, 4 €, 10 € und 15 €. Mit meinem naiven Weltbild, dass in Albanien ja alle arm nicht, hatte ich erwartet, dass sich die meisten Zuschauer auf die günstigen Stadionbereiche verteilen. Weit gefehlt. Die Haupttribüne war sehr gut gefüllt, und die Kurve für 200 Lek fast leer. Das BIP Deutschlands ist drei- bis dreieinhalbmal so hoch wie das albanische. Einfach hochgerechnet entspräche der normale Haupttribünenplatz damit 30 bis 35 € in Deutschland. Bis runter in die dritten Liga zuckt da bei uns keiner mehr. Bei Hansa habe ich neulich 35 € bezahlt und das ist meistens ausverkauft. Ich fasse zusammen: Auch in Albanien sind die Leute bereit, für bessere Plätze deutlich mehr zu zahlen.
Noch zwei Sachen, die mir aufgefallen sind. Der Anteil an Zuschauern mit Fanutensilien ist sehr gering. Man sieht nur vereinzelt mal ein Trikot oder einen Schal, die große Mehrheit kommt ganz „normal“. Und der Frauenanteil ist auffallend gering. Es sind schon welche im Stadion, aber deutlich weniger als in Mitteleuropa. Ich schätze, der Anteil lag heute bei höchstens 10 %.Der FK Vllaznia Shkodër ist aktuell Tabellenführer, KF Tiranë steht auf dem Relegationsplatz. Zu Beginn war Tiranë jedoch besser und ging verdient 0:1 in Führung (auch wenn das Tor an sich, da es abgefälscht war, glücklich zustande kam). Dann übernahm Vllaznia die Initiative und drehte das Spiel innerhalb von zehn Minuten. Zur Halbzeit wirkte es so, als ließe sich der Favorit das nicht mehr nehmen. Doch dann holte sich der zur Pause eingewechselte Alexandros Kouros nach VAR-Intervention in der 52. Minute die Rote Karte für einen Zweikampf an der Seitenlinie ab. Für Spannung und Stimmung war das großartig. Am Ende hat Vllaznia das gut verteidigt und durch einen Elfmeter in der 78. Minute den Deckel drauf gemacht.
Fazit: Ich glaube, besser als mit diesem Spiel hätte ich den Länderpunkt Albanien nicht machen können.