Heute war ich beim Brandenburgliga-Duell zweier Traditionsvereine.
Der Oranienburger FC Eintracht wurde 1901 gegründet und wird damit kommendes Jahr 125 Jahre alt. Überregionale Erfolge blieben dem Verein zwar bis heute verwehrt, doch 1983 und 1984 durften sie immerhin an den Aufstiegsspielen zur DDR-Liga (zweithöchste DDR-Spielklasse) teilnehmen. Beide Male verpassten sie den Aufstieg. 2002 gewannen die Oranienburger die Brandenburgliga und schafften damit den Aufstieg in die NOFV-Oberliga. Wobei sie als abgeschlagener Tabellenletzter direkt wieder abstiegen. Nach einer Insolvenz 2003 löste sich die Fußballabteilung aus der SG Eintracht Oranienburg heraus und gründete den heutigen Oranienburger FC Eintracht. Seit 2013 spielt der Verein durchgängig in der Brandenburgliga.
Die BSG Stahl Brandenburg ist dagegen deutlich jünger. Sie wurde 1950 gegründet und feiert am 20. November den 75. Geburtstag. Die Anfangsjahre verbrachte der Verein in den unteren Ligen. 1979 gelang der Aufstieg in die DDR-Liga und 1984 schließlich in die DDR-Oberliga. Im zweiten Oberligajahr schafften sie durch einen fünften Platz die direkte Qualifikation für den UEFA-Pokal. Und so spielte die BSG Stahl 1986/87 zwei Runden auf internationaler Bühne. In Runde 1 setzten sie sich gegen den Nordirischen Vertreter Coleraine FC durch. Gegen IFK Göteborg schieden sie dann in Runde 2 aus. Mit der Wende und der Eingliederung in den gesamtdeutschen Fußball schaffte Stahl die Qualifikation für die 2. Bundesliga, stieg aber direkt ab. Es folgten Namensänderungen, eine Insolvenz und weitere Abstiege. Die vergangenen 20 Jahre pendelte Stahl zwischen Landes- und Verbandsliga, die letzten sieben Saisons spielten sie in der Landesliga. Das nennt man wohl “Sie waren in der Versenkung verschwunden”. 2025 gewann Stahl die Landesliga-Staffel, und so spielen sie in der aktuellen Saison wieder in der Brandenburgliga. Neben dem höheren sportlichen Reiz haben sie dadurch endlich wieder zwei Derbys gegen den Stadtrivalen Brandenburger SC Süd.
Nimmt man beide Vereine, gilt in der Wahrnehmung der meisten wohl nur die BSG Stahl Brandenburg als „Traditionsverein“. Warum eigentlich? Die Eintracht aus Oranienburg ist sogar 50 Jahre älter. Was steuert bei Stahl die „Tradition“ bei? Das kann ja dann nur der kurzzeitige Erfolg in den späten 80ern gewesen sein. Also die Zeit, in der das Stadion am Quenz mit 14.000 Zuschauern voll war und die Leute Oberliga und Europapokal miterleben durften.
Die Fanbindung bei Stahl ist nach wie vor spürbar. So waren geschätzte 100 Stahl-Anhänger in der ORAFOL-Arena dabei. Es gab einige Banner und der Anteil an Fanartikeln ist für einen Sechstligisten recht hoch. Und es gab Fan-Unterstützung von Dynamo Schwerin – also zumindest hing ein Dynamo-Banner zwischen zwei „Stahl Feuer“ Bannern. Man scheint sich zu kennen.
Die Oranienburger ORAFOL-Arena ist ein kleines, nettes Stadion. An drei Seiten steht man direkt am Spielfeldrand. Dazu gibt es eine Tribüne auf halber Geradenlänge, mit drei Sitzreihen. Die Dachstützen beeinträchtigen auf einigen Plätzen leicht die Sicht. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn richtig voll wird es ohnehin nur im Derby gegen TuS Sachsenhausen (da waren diese Saison 1070 Zuschauer).
Der Namensgeber ORAFOL ist ein Unternehmen zur Kunststoffherstellung und -veredelung mit Hauptsitz in Oranienburg. Weltweit beschäftigen es 3000, am Standort Oranienburg 1000 Mitarbeiter.
Das heutige Spiel ist in zwei Kapiteln (Halbzeiten) schnell erzählt. In der ersten Halbzeit war die langsame Defensive der Hausherren den schnellen Stürmern der Gäste hilflos ausgeliefert. Sie wurden mehrfach überrannt. Nach 20 Minuten führte Stahl verdient 0:2. Oranienburg hatte wenig Chancen, zur Pause stand es 0:3.
Eintracht-Coach Enis Djerlek wechselte in der Halbzeitpause gleich viermal. War auch notwendig. In der zweiten Halbzeit war es dann ein ausgeglichenes Spiel. Tore fielen keine mehr und so kam Stahl zu einem ungefährdeten Auswärtssieg.
Ob sich beide Mannschaften kommende Saison wiedersehen, ist völlig offen. Stahl ist eher oben dabei. Sollte Neuruppin, das mit sieben Siegen aus sieben Spielen einsam seine Kreise oben zieht, einmal schwächeln, könnte Stahl vielleicht noch in den Aufstiegskampf eingreifen. Oranienburg hingegen ist nach der heutigen Niederlage Tabellenletzter. Und mit der heutigen Leistung dürfte der Klassenerhalt schwer werden.
Fazit: Die BSG Stahl Brandenburg ist für mich persönlich ein Verein mit großem Namen. Jetzt habe ich sie endlich mal live gesehen.