90 Minuten vor Anpfiff fahren wir auf den Hoffenheimer Parkplatz. Plötzlich flitzt eine Gruppe von 50 schwarz gekleideten Ultras(?) über die Straße, verfolgt von ein paar Polizisten und springt über den Zaun Richtung VIP-Parkplatz. Top. Scheint also, dass Lyon einen Mob mitgebracht hat und heute was los sein wird. Warum die Gruppe getürmt ist, weiß ich nicht. Den VIP-Parkplatz zu stürmen war mit Sicherheit nicht das Ziel. Vielleicht sollten sie kontrolliert werden und wollten sich dem entziehen. Ich hab direkt angenommen, dass es sich um Gästefans handelte. Wenn ich darüber nachdenke, kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht waren es auch Hoffenheimern. Aber mein Bild von Hoffenheimer ist, dass die alle lieb sind und sowas Wildes nicht machen. Waren bestimmt Lyonnais.
Hoffenheim spielt die Europa League Saison zu Hause gegen Dynamo Kiew, Olympique Lyonnais, FCSB Bukarest und Tottenham Hotspur FC. Das klang verlockend. Obwohl mir Hoffenheim lang wie breit ist, hab ich mir wegen der Gegner zwei Vierer-Tickets geholt. Kiew hatte ich keine Zeit und hab die Tickets weitergegeben, aber die anderen drei Begegnungen finden mit mir statt. Ich habe mir die Tickets direkt neben dem Gästeblock geholt, in der Hoffnung hier mittendrin zu sein.
Der Plan ist vor dem Drehkreuz schon aufgegangen. Das war ja wie gesagt direkt neben dem Gästeblock. Und da wurden vor dem Eingang bereits eine Stunde vor Spielbeginn Pyros abgefackelt. Guter Stimmungsauftakt. Laut Homepage von Olympique waren 1400 Fans mitgereist. Der Gästeblock halbwegs gefüllt und schon vor dem Spiel war hier gut was zu hören. Schals, Fahnen, Flaggen, Banner, war alles dabei, so dass das auch optisch sehr ansprechend war. Auf einem Banner stand "UEFA Mafia". Ich weiß gar nicht, wie sie auf eine solche Behauptung kommen. Etliche Franzosen, die keinen Bock auf Gästeblock hatten, saßen zudem in "meinem" Block und haben zusätzlich für Stimmung gesorgt. Also da muss ich mich selber loben – perfekte Platzwahl.
Finanziell ist das Vierer-Ticket ein Schnapper. Alle Spiele zusammen haben mich 84 € gekostet, macht im Schnitt 21 € pro Spiel. Im Einzelverkauf wollten sie heute für die gleiche Kategorie 39 € haben. Knapp das doppelte, frech. Tottenham wird mit Sicherheit nicht günstiger. Heißt, die anderen beiden Partien sind fast geschenkt.
Das Spiel war von beiden Mannschaften offensiv orientiert und ging hin und her. Lyon trat eher mit einer B-Elf an (10 Wechsel im Vergleich zum letzten Ligaspiel) und so hatte Hoffenheim gewisse Feldvorteile. Zählbares kam in der ersten Hälfte jedoch nicht bei rum. Den Beginn der zweiten Halbzeit hatte wir vor der Fressbude etwas verpennt und so fiel das Führungstor als wir uns gerade wieder zu unseren Plätzen durchkämpften. Hab das Tor somit nur aus den Augenwinkeln gesehen, aber es war ja eh auf der gegenüberliegenden Seite. In der 62. Minute wollte Lyons Trainer Pierre Sage wohl die Handbremse lösen und Punkte holen und vollzog einen Vierfach-Wechsel. Er brachte Ainsley Maitland-Niles, Malick Fofana, Rayan Cherki und Alexandre Lacazette. Ab dann war es ein anderes Spiel. Lyon hatte direkt Übergewicht und es dauerte nur vier Minuten und die Gäste glichen aus. Es blieb bei Lyons Feldvorteilen. Gegen Ende der Partie hatten die Hoffenheimer viel Zeit beim Ausführen von Standardsituationen, was dafür spricht, dass sie den einen Punkt über die Zeit bringen wollten. In der vierten Minute der Nachspielzeit gelang Lyon der verdiente Siegtreffer. Ekstase im Block, Böller, viel Jubel und Gesänge. Doch es gilt die alte Weisheit: "Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter pfeift". Anstoß Hoffenheim, letzter Angriff, Ausgleich. Großer Jubel auf der anderen Seite. Verrückt.
Ich hab schon Lyon mehr die Daumen gedrückt, aber eine wirkliche Bindung hab ich halt zu keinem der beiden Clubs. Und so war es mir persönlich am Ende irgendwie egal wie es ausgeht. Ich war "nur" als Fußball-Tourist da. Und das war großartig die Emotionen der anderen aufzusaugen. Das war das beste und stimmungsvollste Spiel, was ich seit langem gesehen haben! Dass das in Hoffenheim war, darf ich eigentlich auch keinem erzählen.