Bahnfahren ist wirklich ein zweischneidiges Schwert. Wenn ich spontan mit der Familie und schulpflichtigen Kindern – und damit an eher verkehrsreichen Tagen – durch Deutschland reisen möchte, muss ich für ein One-Way-Ticket zwischen 500 € und 850 € zahlen. Heute bin ich allein unterwegs, habe rechtzeitig gebucht und mich für den verkehrsarmen Samstag früh entschieden. Die Fahrt durchs Land hat mich dann gerade einmal 15 € gekostet. Der frühe Zug bedeutete zwangsweise, am Wochenende früh aufzustehen, aber neben dem günstige Preis hatte es einen weiteren klaren Vorteil: Ich konnte noch ein Nachmittagsspiel in Berlin einplanen – vorausgesetzt, alles läuft nach Plan. In Anbetracht der aktuellen Situation mit der Bahn war ich sogar mutig und hatte einen Umstieg in Frankfurt im Fahrplan. No risk, no fun.
Doch zunächst lief alles hervorragend: Der erste Zug in Karlsruhe kam pünktlich, der Umstieg klappte, und der Sprinter nach Berlin fuhr in Frankfurt auf die Minute los. Kaum hatte ich die erste Erfolgsnachricht via WhatsApp verschickt, kamen wir zum Halt. Es folgte die Durchsage: “Es gibt ein Problem im Stellwert xyz und somit müssen alle Züge über Aschaffenburg umgeleitet werden. Die Strecke ist völlig überlastet und wir rechnen mit 40 Minuten Verspätung.” Needless to mention, dass da noch ein Aufschlag drauf kam und wir schließlich Berlin-Ostbahnhof mit 70 Minuten Verspätung erreichten. Früher wäre das eine große Verspätung gewesen, heute zählt das ja fast unter „pünktlich“. Zum Glück hatte ich ursprünglich noch etwas Puffer zwischen Zugankunft, Anfahrt zum Stadion und Spiel, sodass ich nur 15 Minuten vom Spiel verpassen würde.
Dann stehe ich am S-Bahnsteig, die S5 kommt und kommt nicht. Stattdessen folgt die Durchsage: „Es sind Personen auf der Strecke, diese Strecke verkehrt unregelmäßig und Fahrgäste sollten folgende Alternativen benutzen: … Regionalverkehr bis … und … oder … “. Keine Chance, das wäre einer persönlichen Spielabsage gleichgekommen. Und somit musste leider der Plan B ins Spiel kommen: Taxi. Auf der Berlin-Karte wirkt die Strecke von Ostbahnhof bis Altglienicke eher klein. Aber Berlin ist groß und so sind das gute 30 Minuten. Damit war die Ersparnis beim Zugticket-Schnäppchen gut kompensiert. Aber watt solls, Prioritäten sind wichtig. Ich war am Stadion Altglienicke.
Die oberen Ligen spielen zwar wieder, aber für den Rest ist in Deutschland Anfang Februar eher Testspielzeit. Die Ausnahme ist zum Glück Berlin, die starten einige untere Ligen schon wieder in die Rückrunde. Vermutlich wird das durch zwei Tatsachen begünstigt. Zum einen ist Berlin eher trocken, zum anderen haben die meisten Vereine als Hauptplatz eh einen Kunstrasen.
Also heute Berlin-Liga. Das Stadion Altglienicke ist die Heimstätte der VSG Altglienicke. Doch seit dem Aufstieg der ersten Mannschaft in die Regionalliga dürfen sie hier nicht mehr spielen. Erst wichen sie in den Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark aus, dann ins Stadion auf dem Wurfplatz (Hertha Amateure) und ab 2023 wieder in den
Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. In dieser Saison spielt die VSG Altglienicke in der
HOWOGE-Arena „Hans Zoschke“. Wenn man so ungefähr die Anforderung für die Regionalliga kennt, ist klar warum sie als Nomaden durch Berlin ziehen müssen. So gibt es im Heimstadion nur einen Kunstrasenplatz, aber in der Regionalliga ist Rasen vorgeschrieben. Es gibt nur eine kleine Tribüne und eine Fantrennung wäre unmöglich.
Für die Zwote ist der Platz natürlich völlig okay. So stand heute die Partie in der Berlin-Liga zwischen der VSG Altglienicke II und SV Empor Berlin auf dem Programm. Altglienicke befindet sich auf Platz vier der Tabelle, sechs Punkte hinter Platz eins und damit dem Aufstiegsplatz. Empor rangiert auf Platz acht. 13 Punkte hinter dem Aufstieg, zehn Punkte vor den Abstiegsrängen. Das nennt man wohl „Niemandsland“ der Tabelle.
Auf fupa ist die Zuschauerzahl für das Spiel mit 50 angegeben, aber handgezählt kam ich auf 75. Davon haben 33 (!) in der futbology-App eingecheckt. Darunter waren die Empor-Allesfahrer, dann ein paar Fans von Kaiserslautern, die ja heute Abend bei Hertha spielen und noch ein paar HFC-Fans, die morgen gegen die
Erste von Altglienicke antreten. Auch wenn es heute nicht mehr Pflichtspielalternativen gab finde ich knapp 50% futbology Nutzer schon verrückt.
Empor war zu Beginn des Spiels gefährlicher. Eine Großchance ging an den Pfosten und eine Führung für die Gäste wäre verdient gewesen. In der 85. Minute gab es „aus dem Nichts“ einen Elfmeter für Empor. Also zumindest habe ich von außen nicht gesehen, was das geahndete Vergehen war. Bei einem Eckball gab es einen typischen Kampf um den Ball und gegen die Gegner. Und dann gab es den Pfiff. Ich hoffe mal, dass die Entscheidung richtig war. Ich fand es okay, so gab es wenigstens kein 0:0. In der Nachspielzeit legte Empor noch nach und so stand der Auswärtssieg fest.
Wenn ich ab heute die Regionalliga-Heimspiele der VSG Altglienicke bei ostsport.tv in der Zusammenfassung sehe, habe ich ein Bild im Kopf, warum sie wie die Nomaden durch die Berliner Stadien ziehen müssen und nicht zu Hause spielen können.
