F.C. Hansa Rostock


Erfolgsfan

Ich muss gleich am Anfang zugeben, ich bin ein Erfolgsfan. Klingt aus heutiger Sicht etwas komisch - doch es gab auch mal bessere Zeiten meines Vereins.

1990/91 spielten die 16 Mannschaften der zu Ende gehenden DDR in der NOFV-Oberliga um zwei Startplätze für die Bundesliga und sechs Plätze für die 2. Bundesliga. Und hier hatte Hansa das Glück, ein nur mittelmäßiger Oberliga-Klub gewesen zu sein. Während mit dem Mauerfall die meisten überdurchschnittlichen Spieler in den Westen abwanderten und somit die DDR-Topklubs deutlich an Substanz verloren, blieb Hansa davon weitgehend verschont. Plötzlich waren sie eben nicht mehr Mittelmaß, sondern bildeten unter Trainer Uwe Reinders eine gute Truppe. Sie wurden zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Meister und qualifizierten sich zusammen mit dem 1. FC Dynamo Dresden für die Bundesliga. Dass den DDR-Vereinen gerade mal 2 von 20 Startplätzen zugeteilt wurden, war eher ein Witz. Gemäß dem Bevölkerungsanteil hätten es doppelt so viele sein müssen. Aber gut, das ist ein anderes Thema, eh schon lange her und zu ändern sowieso nicht mehr.
Bis 1990 hat mich die DDR-Oberliga nur am Rande interessiert. Ich schaute statt dessen Bundesliga in der Sportschau (Bayern war doof, weil sie immer gewannen, Werder Bremen war cool, weil sie die Siegesserie mal durchbrechen konnten). Doch mit dem Ende der DDR erwachte meine ostdeutsche Seele und ich war erst mal grundsätzlich Fan aller ostdeutschen Klubs. So bin ich dann vor Freude um den Fernseher gesprungen, als Hansa am ersten Spieltag der Saison 1992/93 (also ihrem ersten Bundesligaspiel) den 1. FC Nürnberg mit 4:0 aus dem Ostseestadion fegte. Tabellenführer! Und dann am zweiten Spieltag gleich mit einem Auswärtssieg beim FC Bayern München nachgelegt. Der Wahnsinn! Leider konnten sie die Leistung nicht halten und mussten nach einem dramatischen Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt noch absteigen. Hätte der 1. FC Magdeburg, Carl-Zeiss-Jena oder Stahl Brandenburg dieselbe Saison gespielt, ich hätte mich anfänglich genauso gefreut und wäre am Saisonende genauso traurig gewesen.

Es folgen drei Zweitligasaisons für Hansa und mein erstes Hansa Live-Spiel - auswärts bei Hertha BSC. Am Ende der Saison 1994/95 stand die Zweitligameisterschaft (rechnet man die DDR-Liga mit ein, war das die fünfte Zweitligameisterschaft der Vereinsgeschichte) und der Aufstieg in die Bundesliga. Nun begann die erfolgreichste Zeit. Obwohl jedes Jahr als Abstiegskandidat gestartet, konnten wir neunmal in Folge die Klasse halten. Und mit jedem Jahr war ich mehr gefangen. Unvergessener Moment der Hansa Erfolgsgeschichte ist und bleibt das Tor von Sławomir Majak am letzten Spieltag der Saison 1998/99 zum 3:2-Auswärtssieg in Bochum und der damit erreichte Klassenerhalt in fast letzter Minute (wenn ich den live Kommentar höre, bekomme ich immer noch Gänsehaut: https://www.youtube.com/watch?v=fZQ8HIqP-Yc). Die sympathischste Mannschaft hatten wir aus meiner Sicht in unserer Schweden-Ära. Es begann 1998 mit der Verpflichtung von Peter Wibrån und endete 2006 (bereits 2. Liga), als Rade Price und Magnus Arvidsson von Bord gingen.
Das Gerüst bildeten hier für mich Magnus Arvidsson und Peter Wibrån - mein Wibrån-Trikot werde ich für immer in Ehren halten und in nostalgischen Momenten wieder tragen. Nationallspieler Andreas Jakobsson war vielleicht nicht der Publikumsliebling, aber ein Held in der Abwehr. Ich hab ihm gerne zugesehen, wie er die Bälle zuverlässig abgeräumt hat. Nicht zu vergessen Rade Prica - der teuerste Einkauf. Er wirkt oft ungelenk und hat es doch auf 20 Tore gebracht. Beim Auswärtsspiel in Nürnberg war er so schlecht, dass er von der eigenen Kurve verhöhnt wurde “Rade Prica, du bist der schnellste Mann” und dann schießt er das goldene Tor zum 1:0-Auswärtssieg. Im besagten Spiel in Nürnberg stellten wir mit sechs Schweden in der Startelf einen Rekord auf - noch nie standen so viele Spieler einer Nation für eine Bundesligamannschaft gleichzeitig auf dem Platz. Ich habe in dieser Zeit oft gehadert, wenn wir bis zum Saisonende um den Klassenerhalt zittern mussten und eh meistens mehr Spiele verloren als gewannen. Im Nachhinein war das die mit Abstand beste Zeit und es ist unwahrscheinlich, dass wir in mittlerer Zukunft noch mal erstklassig spielen.

Mein erstes Heimspiel war gar kein richtiges. Es fand im Berliner Olympiastadion statt und war die Strafe für eine Verfehlung der Fans (ja, die Bekloppten waren von Anfang an dabei). So eine richtige Strafe war es dann gar nicht, denn über 58.000 Zuschauer wollten die Partie gegen Eintracht Frankfurt sehen. Mein erstes richtiges Heimspiel erlebte ich noch im alten Ostseestadion. Es war 1997 ein trübes 0:0 gegen den VfL Bochum. Es ist schon so lange her, dass ich mich an das Stadion nur noch schemenhaft erinnern kann. Es hat jedenfalls keinen so bleibenden Eindruck hinterlassen, dass es mir heute fehlt.

Seit 2004 begann die schmerzlich Talfahrt. Und es war irgendwie abzusehen. Wenn eine eher kleine Stadt wir Rostock, in einer strukturschwachen Region es schafft, in der 1. Bundesliga zu spielen ist das super. Doch wenn der Verein anfängt zu glauben, er gehöre dort hin, fängt es an schief zu laufen. Ein Abstieg ist Mist, klar - einigen Spieler gehen, es fehlen Einnahmen und niemand möchte freiwillig den Platz an der Sonne räumen. Doch Vereinen wie Hansa wird es passieren. Dann muss der Verein sportlich alles in die Waagschale werfen - logisch, doch finanziell muss er sich für den Abstieg wappnen. Er sollte in meinem Augen kein Wagnis mit teuren Spielern oder neuen Trainern eingehen, sondern solide absteigen. Dann besteht wenigstens die Chance, hier zu bestehen. Denn hat sich einmal das Wagnis nicht ausgezahlt und der Abstieg folgt, gehen ebenfalls die guten Spieler und die Einnahmen werden weniger, doch der Verein hat keine Möglichkeit mehr, dies zu kompensieren. Doch Hansa hat den Fehler gemacht und leidet noch heute darunter.

Naja so schlimm war die zweite Liga zu Anfang gar nicht. Erst hatten wir ein mittelmäßiges Jahr und anschließend ein wundervolles Jahr mit dem Bundesligaaufstieg. Ein super Jahr in der Zweiten Liga, mit vielen Siegen und somit vielen zufrieden Wochenenden ist einfach besser, als ein schlechtes Erstligajahr, bei dem erst am Dienstag der Frust geht und der Hoffnung auf einen besseren nächsten Spieltag weicht. Absoluter Höhepunkt war für mich der 4:4-Auswärtssieg in Karlsruhe. Ich weiß, es war kein Sieg, aber es fühlt sich bis heute so an. Bei dem Spiel verließen einige Hansafans nach dem 1:4 die Kurve. Das ist etwas, was ich nie verstehen werde. Natürlich hatte auch ich das Spiel abgeschrieben. Trotzdem, da investiere ich mit An- und Abfahrt Stunden, um das Spiel zu sehen und gehe dann das Risiko ein, wegen zehn Minuten ein geschichtsträchtiges Spielende zu verpassen?

Mit den Hansa-Legenden Frank Pagelsdorf und Paule Beinlich schafften wir jedenfalls noch mal einmalig den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Leider ging die Bundesligasaison völlig an mir vorbei und ich hab nicht ein Ligaspiel gesehen. Einziges Live-”Erlebnis” blieb die Pokalniederlage in Hoffenheim. Es war auch nur ein kurzes Aufflackern des alten Glanzes. Es folgte der direkte Abstieg und zwei grottige Jahre in der der Zweiten Liga. In der ersten Saison 2008/09 konnten wir noch mit Ach und Krach den Klassenerhalt am letzten Spieltag feiern. Mit einem 1:1 beim Tabellenletzten SV Wehen Wiesbaden und dann der Konkurrenten, die allesamt ihre Spiele verloren. Am letzten Vorwinterpausenspiel der folgenden Saison habe ich mein bisher kältestes Spiel erlebt. Ein Heimspiel bei -11°C gegen Fortuna Düsseldorf - für Biathlon okay, für Fußball irgendwie unwirklich. Mal sehen, ob ich das irgendwann noch toppen kann. Ich bin grundsätzlich ein großer Freund der Montagsspiele auf Sport1. Ich weiß, für Allesfahrer ist es eine Katastrophe, aber wenn man Familien hat, ist der Montagabend einfach eine gute Zeit, mal in Ruhe Fußball zu schauen. Doch aus der Freude an Montagsspielen wurde ein Trauma. Hansa wurde auf Grund der großen Zuschauerzahlen recht oft übertragen - und sie haben ein Spiel nach dem anderen in den Sand gesetzt. Ich weiß nicht, wie viele es waren, gefühlt waren es Dutzende. Wenn die Terminierung der kommenden Spieltage stand, hab ich geschaut, wann wir Montags spielen und wusste, welche Spiele wir verlieren oder unglücklich Unentschieden spielen. Kann ja jetzt nicht mehr passieren.

Es folgten Abstieg, Aufstieg, Abstieg - und immer mit Trend nach unten. Fühlte sich die Fast-Abstiegs-Zweitligasaison 2008/09 schon schlecht an, kämpfen wir 2015 und 2016 bereits gegen den Abstieg aus der 3. Liga. Bei zwischenzeitlich 20 Mio. Euro Schulden drohte sogar die Pleite des Vereins. 2013 konnten wir den Kopf, auch durch den irren 4:3-Auswärtssieg bei Alemannia Aachen noch selber aus der Schlinge ziehen. 2015 musste mit Rot-Weiß Erfurt schon ein Konkurrent helfen. Und aktuell (Ende 2015) sieht es kein bisschen besser aus. Jedes Jahr sage ich mir, es kann nur besser werden. Irgendwann muss das doch mal stimmen.

Die Fanbasis ist mittlerweile unglaublich. Da standen wir Anfang 2015 aber so was von vor dem Abgrund. 20 Mio. Schulden, auf dem letzten Tabellenplatz und die besten Spieler abgegeben - rosige Zukunftsaussichten sehen anders aus. Ich bin eigentlich nach Wiesbaden gefahren um mich von meiner Mannschaft zu verabschieden - hab sie ja nun 25 Jahre begleitet. Und dann ist mitten im Winter der Gästeblock ausverkauft, eine Wahnsinnsstimmung, Hansa spielt Fußball, gewinnt verdient und die Fans feiern als stünden wir kurz vor dem Aufstieg. Unfassbar. Bei meinem ersten Heimspiel im neuen Ostseestadion kamen keine 13.000 Zuschauer zum Erstligaduell gegen den SC Freiburg. Da ist ziemlich was gewachsen.

Und gleichzeitig sind unsere Fans auch unser größtes Problem. Natürlich nicht alle, sondern diejenigen, die sich regelmäßig daneben benehmen. Es heißt immer, es sind nur ein paar wenige unverbesserliche. Ich glaube, so wenige sind es gar nicht. Und wenn ich auf die Außenwirkung und nicht auf die Bekämpfung des Problems schaue, ist es auch egal. Deutschlandweit sind Hansafans jedenfalls durch Ausschreitungen vor, während und nach den Spielen bekannt. Höhepunkt hier mit Sicherheit die Auseinandersetzungen bei Spielen gegen den FC St. Pauli. Dazu kommen Krawalle bei An- und Abfahrt. Nur beispielsweise sind der zerstörte Bahnhof in Stendal und erst kürzlich der Großeinsatz der Polizei in Oranienburg erwähnt. Das alles kostet dem Verein und der Stadt Ansehen, mit mehreren Folgen. Eigentlich kann ein Bundesligaverein ein Aushängeschild und eine Werbung für eine Stadt sein. Wenn sie jedoch zu oft mit gewalttätigen Fans in Verbindung gebracht wird, verkehrt es sich ins Gegenteil. Ob einige Nachwuchstalente oder Spieler den Weg an die Ostsee aufgrund der Fangewalt nicht angetreten haben, ist reine Spekulation, aber durchaus denkbar. Bekannt ist jedoch, dass durch das negative Image Sponsoren verschreckt wurden, bzw. bestehende abgesprungen sind. Und ganz konkret stehen schwarz auf weiß die Strafzahlungen an den DFB. Ein durchschnittlicher Erstligist kann dies schon verschmerzen. Im Fall von Hansa ist es eher suboptimal, dass dies viele Geld auf dem DFB-Konto statt auf das Konto guter Spieler überwiesen werden musste. In meinen Augen können sich die Fans den Absturz des Vereins zum Teil mit ans Revers heften. Ob das mal irgendwann besser wird? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Wir haben es ja auch geschafft, den offenen Rassismus aus dem Stadion zu verbannen.

Unser Ostseestadion (formerly knows as DKB-Arena) ist selbstredend das schönste Stadion im ganzen Land. Modernen Arenen an sich versprühen häufig einen Hauch von langeweile. Ich kann nicht erklären, was unser Stadion von den anderen unterscheidet, aber für mich steckt da ganz viel Leben drin. Wenn ich die Stadiontore passiere, wird mir warm ums Herz. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass Hansa hier spielt.

Ich habe längere Zeit gebraucht, um Hansa Fan zu werden. Mein Vater hat mich als Steppke mit auf die Radrennbahn und nicht ins Stadion genommen, und ich war bereits 25 Jahre alt, als mich der Fan-Virus richtig gepackt hatte. Ich habe mit der Mannschaft gelitten, und muss sagen, etwas mehr Abstand hätte mir manchmal gut getan. Nun bin ich älter und sehe vieles entspannter. Und ja, es würde mir im Herzen wehtun, wenn der Verein weiter absteigt oder gar in die drohende Insolvenz rutscht, aber es würde mein Leben nicht mehr verändern.

Wie sagte Hansa-Radioreporter Arvid Langschwager: “2. Liga? Oh, ja. Da will ich hin. Unbedingt. Und das nicht erst, wenn ich alt und grau bin.”

In diesem Sinne “Hansa Kogge unsinkbar!”

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